Einleitung
Die zunehmend schlechte Vergütung im kassenärztlichen System bei gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten zeigt sich aktuell insbesondere in der Bezahlung von Operationen bei Kindern. Die bisher schon nicht kostendeckende Vergütung in Höhe von etwa 110 Euro für die Durchführung der Operation wurde im Jahr 2023 auf etwa 107 Euro abgesenkt.
Um diese nicht mehr hinnehmbare Situation aufzuzeigen, haben der HNO-Berufsverband und die Deutsche Gesellschaft für HNO von Frühjahr 2023 bis Sommer 2024 zu einem Boykott dieser Operationen aufgerufen.
Grundsätzlich hat sich die HNOmedic an diesem Boykott beteiligt. Gleichzeitig haben wir aber auch beschlossen, dass wir den Protest nicht auf dem Rücken der kranken Kinder austragen werden.
Durch politischen Druck ist dieser Protest nun beendet, leider hat sich die Situation weder für die Praxen oder Kliniken noch für die betroffenen Kinder irgendwie verändert oder gar verbessert. Letztlich sehen sich also sowohl Betroffene als auch Behandler von den Kostenträgern im Regen stehen gelassen.
Daher bleiben wir bei dem von uns eingeschlagenen Weg: Wir operieren, wenn es sinnvoll, notwenig und zielführend ist und raten in den anderen Fällen zum abwartenden Verhalten.
Wir unterscheiden immer, bei welchem Kind eine Operation möglich, aber nicht zwingend notwendig ist und bei welchem Kind ein bleibender Schaden eintreten kann, wenn wir nicht zeitnah handeln.
Da viele Eltern betroffener Kinder zunehmend verunsichert sind, haben wir hier die wichtigsten Informationen rund um die Erkrankung der kindlichen Polypen und ihre möglichen Auswirkungen zusammengefasst.
Was versteht man unter Adenoiden Vegetationen
(“zu großen Polypen“)?
Die Mandeln sind ein Teil des körpereigenen Abwehrsystems gegen Krankheitserreger. Da diese Erreger natürlicherweise durch Mund oder Nase in den Körper eintreten müssen, besteht in diesem Bereich ein geschlossener Ring aus lymphatischem Abwehrgewebe (Tonsillen). Nach seinem anatomischen Erstbeschreiber wird dieses Gewebe auch Waldeyer’scher Rachenring genannt. Dieser besteht aus den Rachenmandeln (Adenoide Vegetationen), den Gaumenmandeln (Tonsillen) und Zungengrundmandeln (Zungengrundtonsillen).
Die Rachenmandeln sind – so sinnvoll sie für die Abwehr sein mögen – leider auch Ursache für eine Reihe von Erkrankungen im Kindesalter, die wir hier näher beschreiben wollen.
Die Rachenmandeln sitzen an einer Engstelle des kindlichen Kopfes, nämlich im Nasenrachen. Der Nasenrachen stellt die Verbindung zwischen den Nasenhaupthöhlen vorne und dem Rachen hinten und unten dar und steht nach der Seite hin über die Ohrtrompete mit dem Mittelohr in Verbindung.
Bei „zu großen Polypen“ handelt sich also erst einmal um eine harmlose Vergrößerung der Rachenmandel, die den Nasenrachen und/oder die Eingänge in die Ohrtrompete verlegt.
Was passiert, wenn die “Polypen” den Nasenrachen verlegen?
Falls der Nasenrachen durch die vergrößerten Rachenmandeln verlegt ist, fällt es den Kindern oft schwer, durch die Nase zu atmen. Dies macht sich vor allem in der Infektzeit zwischen Oktober und Ostern bemerkbar: Sie atmen nur oder überwiegend durch den Mund. Die Mundatmung aber führt dazu, dass vermehrt trockene und kalte sowie ungefilterte Luft in die Lunge eingeatmet wird - die Kinder werden anfälliger für Infekte der oberen Atemwege und sind häufiger krank als andere gleichaltrige Kinder. Häufig vergrößern sich durch die Mundatmung und die daraus folgenden Infekte auch die Gaumenmandeln, man spricht dann von einer „Drei-Mandel-Erkrankung“. Wenn diese vorliegt, kommt es gelegentlich auch zu Problemen beim Essen und sogenannten “Gedeihstörungen” mit Müdigkeit, Appetitlosigkeit, fehlender Gewichtszunahme und letztlich Entwicklungsstörungen.
Dies ist für uns einer der Gründe, die Operation zeitnah durchzuführen.
Was passiert, wenn die Ohrtrompete verlegt ist?
Wenn die Adenoiden Vegetationen eher oder auch in die Breite wachsen, können sie die Eingänge in die Ohrtrompete verlegen. Dann ist die Belüftung des Mittelohres gestört, vor allem Viren gelangen vermehrt in das Mittelohr und die Kinder bekommen häufiger Mittelohrentzündungen und Ohrenschmerzen. Auch diese Probleme bestehen vor allem in der Infektzeit zwischen Oktober und Ostern.
Ist die Belüftung über längere Zeit gestört oder häufen sich die Infekte, füllt der Körper das eigentlich mit Luft gefüllte Mittelohr mit Flüssigkeit auf. Als Folge der Flüssigkeit kommt es zu einer mechanischen Beeinträchtigung des Trommelfells mit einer daraus folgenden leichten Schwerhörigkeit der Kinder. Diese Schwerhörigkeit können die Kinder sehr lange ohne Folgeschäden ausgleichen - das eigentliche Hörorgan, das Innenohr, bleibt von der Erkrankung immer verschont!
Mit der Zeit wird die Flüssigkeit im Mittelohr vom Körper jedoch zunehmend eingedickt und die mechanische Schwerhörigkeit nimmt zu. Wenn die Kinder dies dann nicht mehr ausgleichen können, bleiben sie in der Entwicklung der Sprache zurück oder verlernen sogar bereits gekonnte Wörter und Aussprachen wieder. Man spricht dann von einer Sprachentwicklungsverzögerung.
Dies ist für uns einer der Gründe, die Operation zeitnah durchzuführen.
Häufig schwellen die Polypen in einem infektfreien Zeitraum wieder ab, so dass sich Phasen mit Mundatmung und Phasen mit Schwerhörigkeit mit Phasen ohne Beschwerden abwechseln.
Warum betrifft das vor allem kleine Kinder?
Der Altersgipfel der Erkrankungen im Kindesalter liegt zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr. Dies hat verschiedene Gründe:
- Die Ohrtrompete von (Klein-)Kindern ist kürzer, weiter und horizontaler. Dies begünstigt eine durch den Rachen aufsteigende Infektion durch Viren und Bakterien. Werden die Kinder größer, ändern sich die anatomischen Verhältnisse und das Risiko einer Mittelohrentzündung sinkt.
- Je “reifer” das Immunsystem wird, desto effektiver kann es sich gegen Infekte zur Wehr setzen. Daher bildet sich das Rachenmandelgewebe bei Heranwachsenden natürlicherweise zurück.
Wie können Adenoide Vegetationen festgestellt werden? Welche Diagnostik ist wichtig und sinnvoll?
Neben einer gründlichen Erhebung der Krankengeschichte werden die Mundhöhle zur Beurteilung der Gaumenmandeln sowie beide Ohren mittels Mikroskops untersucht. Einige Kinder lassen auch zu, dass der Arzt/die Ärztin den Nasenrachen mit einem Endoskop (einer kleinen Kamera) durch die Nase direkt untersucht.
Darüber hinaus wird beidseits eine schmerzlose Ohrdruckmessung, die sogenannte Tympanometrie, zur Beurteilung der Mittelohrbelüftung durchgeführt. Mit altersentsprechenden Methoden wird die Hörfähigkeit überprüft.
Das Wichtigste für die Diagnose und die daraus folgende Einleitung der Behandlung ist aber die Anamnese, also die Krankengeschichte des Kindes und die Art und Dauer der Beschwerden, die wir gemeinsam mit den Eltern erheben.
Sollten Sie mit Ihrem Kind schon kinder- oder HNO-ärztliche Befunde oder Untersuchungen haben, bringen Sie diese bitte unbedingt zu uns mit – Sie ersparen Ihrem Kind so eventuell weitere Untersuchungen.
Wann sollte eine Behandlung begonnen werden?
Eine Vergrößerung des Rachenmandelgewebes ohne Beschwerden ist nicht behandlungsbedürftig. Je nach Ausmaß und Dauer der Beschwerden (wiederkehrende Infektneigung mit Fieber, fortbestehende Ohr- und Hörproblematik mit ggf. verzögerter Sprachentwicklung) können nicht-operative Therapieversuche oder die chirurgische Entfernung der Rachenmandel, die so genannte Adenotomie (AT), eine Option sein.
Welche sinnvollen Behandlungen gibt es?
Nicht-operative Therapiemöglichkeiten:
- beobachtendes Abwarten
- lokal angewandte Kortisonbehandlung
- Behandlung einer Allergie, sofern diese nachgewiesen ist (selten)
Interessanterweise ist eine abwartende und beobachtende „Behandlung“ bei entsprechenden Symptomen in Langzeituntersuchungen einem zügigen chirurgischen Verfahren gleichwertig!
Bei lang andauernden und/oder ausgeprägten Symptomen ist die operative Entfernung der Rachenmandel aber angezeigt.
Bitte bedenken Sie immer, dass eine Operation zwar eine schnelle „Heilung“ verspricht, aber auch erst einmal (mit allen Risiken und möglichen Komplikationen) durchgeführt werden muss.
Unser chirurgisches Leitmotiv: „Man kann alles operieren – muss es aber nicht“ gilt insbesondere bei den Operationen bei Kindern!
Was passiert bei der OP?
Die Operation der Rachenmandeln (Polypen) erfolgt immer in einer Vollnarkose. Im Vorfeld wird die Narkose mit einem/einer Narkosearzt/-ärztin in einem persönlichen Gespräch besprochen. Die Polypen werden durch den Mund hindurch entfernt. Hierzu wird der Mund mit einer speziellen Haltevorrichtung offen gehalten, damit eine gute Übersicht über das Operationsgebiet herrscht. Es wird dann der Nasenrachenraum inspiziert und vorhandenes Gewebe der Rachenmandeln mit einem speziellen Instrument so weit entfernt, dass eine normale Atmung durch die Nase wieder möglich ist und auch die Ohrtrompete wieder frei belüftet werden kann.
Nach der Operation der Polypen erfolgt die Operation der Ohren. Hierzu werden die Ohren mit einem Mikroskop untersucht und wenn nötig gereinigt. Es erfolgt dann ein winziger Schnitt ins Trommelfell, damit eventuell dahinter bestehende Flüssigkeit abgesaugt werden kann.
Nur wenn diese so zäh ist, dass sie nicht abgesaugt werden kann, legen wir ein Paukenröhrchen in das Trommelfell ein.
In unserem Patientengut ist das nur bei etwa jeder 20. Operation notwendig.
Der gesamte Eingriff dauert etwa 20 Minuten, die Narkose und die Zeit im Operationsbereich kommen hier noch hinzu
Die Operation ist bei weniger dringlicher Indikation einem abwartenden Verhalten nicht überlegen
Erfolgsaussichten: Bringt der Eingriff wirklich etwas?
Der Eingriff ist bei richtiger Indikation nach einer Genesungszeit von etwa einer Woche in über 90 % als erfolgreich einzustufen. Das bedeutet vor allem eine deutliche Verbesserung der Beschwerden, die vor der Operation bestehen (Hörminderung, Schnarchen, Atemaussetzer, Infektanfälligkeit). Auch die Nahrungsaufnahme und/oder die Sprache sollte nach der Operation deutlich verbessert sein
Schadet der Eingriff nicht der Immunabwehr meines Kindes?
Wichtig zu wissen ist, dass die adenoiden Vegetationen nicht vollständig entfernt werden, sondern nur auf ein deutlich kleineres Maß reduziert werden. Die notwendige „Immunabwehr“ kann immer noch erfolgen. Hierin liegt auch eine Ursache, dass „Polypen“ nachwachsen können und eventuell nach einiger Zeit eine Nachoperation notwendig werden kann.
Und die OP kann bei meinem Kind wirklich ambulant durchgeführt werden?
Ist das Kind gesund und es liegt kein Anhalt für eine Blutgerinnungsstörung vor, wird dieser Eingriff regelhaft ambulant durchgeführt.
Bei gutem Allgemeinzustand ohne Hinweise auf Komplikationen (Schwellung, Nasen- oder Rachenblutung, Atemnot, Narkoseüberhang) kann die Entlassung in die Betreuung von Sorgeberechtigten bzw. von Begleitpersonen erfolgen. Für 24 Stunden muss dabei eine fortwährende Betreuung sowie Überwachung gewährleistet sein. Eine weitere Voraussetzung für die ambulante Operation ist die Erreichbarkeit einer Klinik in einem angemessenen Zeitraum bei Auftreten von Komplikationen.
Und was muss man nach der Operation beachten?
Die Schmerzen nach der Operation sind als gering einzustufen. Die Kinder können noch am Tag der Operation aufstehen und können essen und trinken, worauf sie Appetit haben.
Säurehaltige (auch Kohlensäure) oder stark gewürzte Getränke und Speisen sowie Obst- und Fruchtsäfte können allerdings in der Wunde brennen und sollten deshalb vermieden werden. Selbst Bananen und Tomaten können einen geringen Wundschmerz hervorrufen.
Gegen die nach der Operation auftretenden Schmerzen bekommen die Kinder schmerzstillende Medikamente. Der Schluckschmerz kann am 1. und 2. Tag nach der OP stärker sein als am OP-Tag selbst. Beachten Sie bitte, dass häufig in den ersten Tagen nach der Operation Temperaturerhöhungen auftreten können. Das ist nicht gleich besorgniserregend. Sie können das Fieber mit den Schmerzmitteln senken. In den ersten Tagen nach der Operation sollte vorsichtshalber alles vermieden werden, was den Blutdruck erhöht oder die Blutgefäße weit stellt:
• intensive Sonnenbestrahlung
• heiße Speisen und Getränke
• heiße Duschen oder Vollbäder
• harte oder scharf gewürzte Speisen
• körperliche Anstrengung
Darüber hinaus wird körperliche Schonung (bei Kindergartenbesuch, Kita-Besuch, Schulbesuch für drei Tage sowie bei Schul- und Freizeitsport für sieben Tage) empfohlen.
Was muss ich beachten, wenn bei meinem Kind Paukenröhrchen gelegt worden sind?
Wichtig: Die Einlage von Paukenröhrchen wird die Häufigkeit von Mittelohrentzündungen bei Ihrem Kind reduzieren. Es kann aber trotzdem sein, dass es hin und wieder zu einer Infektion kommt. Dabei zeigt sich ein Ausfluss aus dem Ohr. In einem solchen Fall vereinbaren Sie bitte einen Termin bei uns. Wir untersuchen das Kind und verschreiben ggf. antibiotische Ohrtropfen.
Wie lange bleiben die Paukenröhrchen im Ohr?
In der Regel bleibt ein Paukenröhrchen ca. 6-18 Monate an seinem Platz und fällt dann selbstständig heraus. Verbleibt es länger als 2-3 Jahre, sollte es in einem kleinen Eingriff durch uns wieder entfernt werden.
In seltenen Fällen fällt das Paukenröhrchen schon vorzeitig heraus – meist hat sich bis dahin jedoch schon ein therapeutischer Effekt eingestellt und es ist keine erneute Einlage notwendig.
Was sind mögliche Komplikationen, die nach der Einlage von Paukenröhrchen auftreten können?
Perforation – bei etwa 1-2 von 100 Kindern zeigt sich ein Loch, nachdem die Röhrchen herausgefallen sind. Heilt dies nicht selbstständig zu, kann es in einer kurzen Operation verschlossen werden.
Noch viel seltener fällt das Paukenröhrchen nicht heraus, sondern nach innen (ins Mittelohr). Dies verursacht aber selten Komplikationen. Wenn nötig, kann es in einer kurzen Operation entfernt werden.
Ich habe gehört, mit Paukenröhrchen darf kein Wasser an die Ohren meines Kindes gelangen, stimmt das?
Normalerweise benötigt Ihr Kind KEINE Ohrstöpsel beim Baden oder Schwimmen!
Ein Kind mit Paukenröhrchen sollte jedoch nicht tauchen.
In den folgenden Situationen können Ohrstöpsel beim Baden aber hilfreich sein:
- Auftreten von Schmerzen oder Unwohlsein, wenn Wasser an das Ohr kommt.
- Schwimmen in Seen oder nicht-gechlorten Pools
- Beim Baden/Duschen mit Shampoo/Seife/Haarspülung
- Während einer akuten Entzündung des Ohres (dies äußert sich z.B. durch Flüssigkeitsaustritt aus dem Ohr) sollte das Ohr bis zum Abheilen der Infektion trocken gehalten werden.
Wir hoffen, dass diese Informationen Ihre Fragen rund um das Thema der Adenoiden Vegetationen bei Kindern beantworten. Bitte zögern Sie nicht, uns bei weiteren Fragen zu kontaktieren.